Die Seminarleitung informiert

Zürcher Poetikvorlesung

Schwer zugänglich in den bosnischen Bergen liegt ein Dorf, in dem heute acht alte Menschen leben und bald keine Menschen mehr leben werden, circa jeder dritte Grabstein trägt meinen Nachnamen. In der Uckermark erzählt man mir von slawischen Gräbern in der Gegend, man erzählt mir von einer Toten, deren Körper man mit Steinen beschwert hatte, damit sie nicht wiederaufersteht. In Brasilien lerne ich einen Mann kennen, der einmal ein Grab für sich selbst ausheben sollte, er erzählt mir von seinem Enkelsohn und zeigt mir Vögel. Wenn man mich fragt, woher ich komme, sage ich, das sei eine schwierige Frage, denn das Land, in dem ich geboren bin, gibt es nicht mehr. Wohl gibt es die Gräber von jenen, die gefallen sind, damit es das Land nicht mehr gibt. Ich versuche die Notwendigkeit der Konzepte Nationalität, Konfession und Heimat zu verstehen. Also schreibe ich über sie. Über Gräber, Ausgrabungen, Vergrabenes, Irrglauben, über Überlebende und ihre Nachkommen, und immer und in allem über die Unwahrscheinlichkeit, dass es uns, mich und Sie, jetzt in diesem Moment und hier an diesem Ort, gibt.

Ich töte Ameisen mit dem Hammer in unserem Garten, Mutter ist schön, sitzt in der Schaukel ohne zu schaukeln, liest mir Marx und Hemingway halblaut vor

Saša Stanišić gehört zu den profiliertesten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und wird in den diesjährigen Poetikvorlesungen Einblicke in sein literarisches Schaffen geben.

Vorlesungen:
Donnerstag 9./16./23. November 2017, 20.00-22.00 Uhr, im Literaturhaus

 

Das Schweizer Buchjahr

Das Schweizer Buchjahr ist eine Plattform für Schweizer Gegenwartsliteratur und Literaturkritik, die im Wochenrhythmus und in Kooperation mit namhaften Medienpartnern literarische Neuerscheinungen, Veranstaltungen und Debatten publizistisch begleitet.

Die Herausgeber Philipp Theisohn und Christoph Steier bieten zudem das gleichnamige Praxisseminar für Master-Studierende des Deutschen Seminars an. Dieses versteht sich als strukturierte Einführung in vier literaturvermittelnde Handlungsfelder: Als semesterweise Kulturredaktion sichten wir die relevanten Neuerscheinungen, rezensieren diese für Print- und Onlinemedien, produzieren einen Podcast, begleiten die Solothurner Literaturtage und das Literaturfestival „Zürich liest“ als offizieller Blog und diskutieren Themen und Tendenzen des Buchjahrs im Literaturclub "5/18". Die Kooperation mit Partnern wie Literarischer Monat, vice versa, entwürfe, Kaufleuten Literatur oder Pro Helvetia, aber auch die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten von SRF, NZZ u.a. begleitet den Transfer von der universitären Theorie in die publizistische Praxis und lädt zur Netzwerkbildung und Publikation erster Texte ein. Absolventinnen und Absolventen des Seminars, aber auch andere publizistische Talente am Deutschen Seminar sind herzlich eingeladen, sich am Schweizer Buchjahr auch über ein Semester hinaus zu beteiligen.

- Christoph Steier