Über diese Ausgabe

Virtualität ist ein Denkbild, das unsere Vorstellungskraft ebenso stimuliert wie strapaziert: Im philosophischen Diskurs tritt sie in verschiedensten Facetten auf, die das Phänomen einer latenten Möglichkeit umkreisen. Virtuell ist, was in unserer Vorstellung existieren kann, aber nicht in dem Raum und der Zeit, die wir gemeinhin als «die Realität» bezeichnen, vorkommen muss. Die enge Verwandtschaft zwischen dem schillernden Begriff der Virtualität und demjenigen des Denkbildes lässt sich kaum bestreiten: Verstehen wir Denkbilder als erdachte oder erträumte Bilder, so zählen diese zweifelsohne zur Sphäre der Virtualität. Selbstredend besteht daneben noch die Möglichkeit, Denkbilder als Abbilder unserer Gedanken zu interpretieren. Dann wären sie selbst nicht mehr virtuell, sondern konkrete Realisationen von Elementen einer potenziell unendlich grossen Menge synaptischer Verknüpfungen.

Verstehen wir Denkbilder als erdachte oder erträumte Bilder, so zählen diese zweifelsohne zur Sphäre der Virtualität.

Kaum beeinflusst von dieser Tradition scheint der Begriff der Virtualität im Kontext der digitalen Technik. Hier meint er die Fähigkeit, etwas als etwas zu nutzen, was es eigentlich nicht ist. Ganz bewusst publizieren wir die einundvierzigsten Ausgabe unseres Magazins im Internet – in dieser schimärischen Welt also, ohne die unsere moderne Zivilisation nicht mehr denkbar ist. Werner Herzog hat sich in seiner faszinierenden Dokumentation Lo and Behold, Reveries of the Connected World diesem revolutionären Medium zugewendet und ist der eigentümlichen Frage nachgegangen, ob das Internet schon von sich selbst träumt. Während man der kratzigen und zuweilen kurzatmigen Stimme des deutschen Filmemachers verfällt und mit ihm durch seine Gedankenwelt schlendert, macht sich eine bedeutsame Erkenntnis bemerkbar: Das Internet ist in einem stetigen Prozess begriffen. Jede Veränderung, jeder Umbruch, ist nur da, um eine nächste Veränderung zu ermöglichen.

Das Thema unserer diesjährigen Herbstausgabe hat uns dazu angespornt, uns endlich einen präsentablen Webauftritt zuzulegen. Die neue Webseite, die wir mit Stolz präsentieren, ist – zumindest für uns – ein Durchbruch: Dies deshalb, weil uns die virtuelle Plattform viel neues Potenzial bietet. So steht neben einem Archiv – bestehend aus früheren sowie zukünftigen Ausgaben – auch die regelmässige Publikation kleinerer Beiträge in Planung. Unnötig zu präzisieren, dass wir unsere Website daher nicht als abgeschlossenes Projekt betrachten. In diesem Sinne möchten wir an jenes «Lo» erinnern, das 1969 als erste Nachricht übers Internet verschickt wurde, und freudig verkünden: Lo and behold – die Denkbilder sind online!