Die Waschküche

Nina wohnt eben seit kurzer Zeit in einer Metzgerei. Das hat sie aber erst gerade herausgefunden. Jetzt, wo sie es weiss, fühlt es sich an, als wäre es schon immer so gewesen, also gewusst gewesen. Die Struktur des Hauses ergibt plötzlich Sinn, die kleinen Wohnungen mit ihren langen Gängen und den vereinzelten Toiletten auf den Fluren, die später in Wohnräume integriert wurden und dort drin nun etwas einsam am Rand liegen, als bräuchte es nicht viel, sie wieder auf dem Flur anzutreffen, wo es ihnen deutlich besser gefällt.

In diesem Haus wurde gestern also eine Klage erhoben.

In diesem Haus, dessen Garten nur für die Eigentümer zur Benutzung freisteht und wo Nina bei jeder verbotenen Zigarette in der Nacht spürt, wie der gezogene Bannkreis eines alten Zaubers nasskalt ihre Pyjamabeine streift und in diesem Haus, in dem eben Nina wohnt, unsere Nina, die fest an die Ernsthaftigkeit der Sprache glaubt und einen Mann hat, der Angst hat vor Schwämmen, und über den eine Freundin von Nina Nina gegenüber schon die feine Überlegung angestellt hat, dass er vielleicht selber ein Schwamm sei in dem Sinne, dass er alles aufsauge und aufsauge, bis es einmal nicht mehr gehe, in diesem Haus wurde gestern also eine Klage erhoben.

Der Unmut ist gross, er vergrössert das ganze Haus.

Die Klage – wie übrigens jede – bleibt oben an den Decken hängen, bestenfalls, schlimmstenfalls liegt sie dick in den Türrahmen derjenigen, die sie ausstossen und arbeitet sich immer weiter vor. Die Klage geht so: Unbefugte (die Täterschaft ist möglichst im Plural zu halten, schlägt der Zettel mit krakligen Grossbuchstaben vor) haben eine Wäsche in die Maschine getan, und dabei handelt es sich nicht um die Wäsche der Partie der Einzimmerwohnung aus dem ersten Stock rechts, deren Waschtag der Montag auch wirklich rechtens wäre, sondern eben um die Wäsche von Unbefugten, die nun schon seit Stunden nach Programmende vor sich hin feuchtet. Der Unmut ist gross, er vergrössert das ganze Haus, dessen Dach nur so und so viel an schlechter Luft fassen kann – so hebt es sich langsam und nachdenklich ein wenig an. Das ist von aussen noch nicht zu sehen, aber bald. 

... und geht sich in die Waschküche die verbotene Wäsche anschauen.

Die Wäsche unterdessen will niemandem gehören. Der Hauseigentümer tippt sich fest an den Kopf, um die Blödheit derjenigen zu illustrieren, deren Reflexionsmöglichkeit nicht einmal dafür hinreicht, einen Waschplan studieren zu können und sich daran zu halten, und vor allem dabei das Fenster nicht zu öffnen. Der Waschplan hängt in der Zwischenzeit unbeachtet und ungelesen in vielen fröhlichen Farben an der Türe zur Waschküche, die früher einmal ein Schlachtraum war. Nina möchte dem Hauseigentümer gerne sagen, dass es nichts gibt, worüber sich das heftige Antippen der Schläfe lohnen würde, und geht sich in die Waschküche die verbotene Wäsche anschauen. Aha, da liegt sie, nasszerknüllt in der Trommel, und sie wird es nicht eilig haben, hier rauszukommen – im Gegensatz zu Nina.

Die befürchtet nämlich schon, dass, wenn der Hauseigentümer die Waschküche gerade jetzt stürmte, er natürlich denken würde, dass das eben doch ihre Wäsche sei und sie also die Täterin. Ein kurzer Blick in die Trommel hat Nina aber schon genügt, um bestätigen zu können, dass es sich bei dem verbotenen Trommelinhalt nicht um ihre Wäsche handelt. In ihrer Wohnung schaut sie vorsichtshalber nach, ob ein lachsfarbenes Frotteetuch, das sie in der Trommel hat ausmachen können, sich auch brav in ihrer Kommode befindet. Ja.

Heute ist ein guter Tag, meinem Mann gegenüber einen Fehler einzugestehen.

Nina übernimmt eigentlich gerne die Verantwortung für verbotene Dinge, sie ist auch gerne demütig und gesteht Fehler ein, wo sie gar keine gemacht hat. Z. B. möchte sie eine Tabelle erstellen von all den Konflikten, die sie mit ihrem Mann je ausgetragen hat, und dort konsequent all ihre Fehler eintragen. Manchmal denkt sie auch: Heute ist ein guter Tag, meinem Mann gegenüber wieder einmal einen Fehler einzugestehen oder eine Erinnerung auszugraben, wo ich mich wirklich ganz schrecklich falsch verhalten habe. Die Wäsche käme ihr in gewissem Sinne also gelegen. Es ist aber wirklich nicht ihre.

Nina nickt verständnisvoll ins Telefon hinein und verlässt mit fehlerhaften Schritten das Haus.

Die Klage hat sich in der Zwischenzeit schon so stark ausgebreitet, dass sie den alten Hauseigentümer dazu bewogen hat, den Telefonhörer zur Hand zu nehmen und der Verwaltung anzurufen. Das Hausdach verharrt angespannt, die Wäsche in der Trommel knüllt weiter vor sich hin. Die von der Verwaltung rufen jede Partie im Haus an (und wenn sie sie nicht erreichen, hinterlassen sie eine Sprachnachricht, in der das Wort «dringend» vorkommt), so also auch Nina. Nina bezeugt vorschnell ihre Unschuld und wird somit sofort zur Hauptverdächtigten erhoben. Die Frau von der Verwaltung, Frau Gaffner, zitiert den Hauseigentümer, der überhaupt ein riesiges Chaos in der Waschküche beklage. Nina nickt verständnisvoll ins Telefon hinein und verlässt mit fehlerhaften Schritten das Haus. ¤


Nadia Brügger

sieht man möglicherweise einmal von Weitem, wie sie in samtigen Pantoffeln – den Waschkorb eng an den stählernen Körper gedrückt – und mit nervösem Sauseschritt in den Schlachtraum prescht.