The Writings of a Madman

Was in zwei Wochen bisher noch geschehen wird: Der Pfeil durchstösst das Stockwerk seines Büros. Ein einfacher Büroangestellter wird zum Protagonisten und verschwindet daraufhin spurlos. Die Frage, die jetzt alle umtreibt: kann der Pfeil dessen Platz einnehmen und dieser Rolle gerecht werden? Der Pfeil ist deswegen bereits angespannt, soviel kann ich verraten.

Der Pfeil durchstösst das Stockwerk seines Büros.

In diesem Kapitel erfahren wir, wie der Pfeil zustande kam, wie er in die Welt kam, und welche Aufgaben er hier zu erledigen hat. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist es, das lässt sich vorab schon sagen, die Dinge am Laufen zu halten. Er trägt die ganze Sache. Zuallererst muss man über den Pfeil wissen, dass er eigentlich ein Vektor ist. Es gab einen Punkt A und einen Punkt B in einem Feld, und die Verbindung dieser beiden Punkte brachte den Pfeil hervor. Dieses Feld war kein geringeres als das gesamte Ausmass des Universums. Sehr viel schwieriger ist es, zu sagen, wie alt der Pfeil ist. Denn über den Punkt in der zeitlichen Ebene ist nur soviel bekannt, als dass es ihn gibt, aber nicht, wo genau er sich darin befindet. Ich müsste alle anderen Punkte in diesem Feld kennen, um den Pfeil genau zu verorten, aber das kann ja wohl niemand von mir erwarten. Der Pfeil hat deswegen kein bestimmbares Alter und ist schlichtweg zeitlos. Um diese Zeitlosigkeit wird er oft beneidet, gerade an Stehparties im Büro, wenn ihn Leute neu kennenlernen.

Es lässt sich aber berichten, dass der Pfeil von Anfang an sehr zufrieden mit sich selbst war und in sich ruhte. Diese Ruhe, die er in sich fand, verschaffte ihm eine nahezu unerschütterliche Stabilität, weswegen er für das Büro und die Aufgaben, die er dort zu verrichten hatte, von besonderem Interesse war. Der Pfeil war eher introvertiert, aber dennoch immer freundlich und wurde darum von den anderen Angestellten und gerade seinen Untergebenen gemocht. Manche fanden ihn durchaus charmant. Sie waren angezogen von seinem starken und ausgeprägten Körper, der scheinbar förmlich den Raum durchstiess. Es gab aber auch gewisse Eigenheiten am Pfeil, die ihn anecken liessen. Von seinen Konkurrenten wurde er regelmässig angefeindet. Seine Selbstvergessenheit, die in seiner inneren Ruhe begründet lag, wurde ihm als Arroganz angekreidet.

Es gab aber auch gewisse Eigenheiten am Pfeil, die ihn anecken liessen.

Was ist die Identität des Pfeils? Diese Frage ist natürlich nicht einfach zu beantworten. Möglicherweise ist darum ein kleiner Exkurs angebracht. Der Pfeil befindet sich in einem völlig anderen Kontext als sein Umfeld. An dieser Stelle sehen wir kurz durch die Oberfläche. Dahinter macht sich das schwarze Loch auf. Schon wieder hat es einen Zusammenhang erwischt. Der Pfeil ist davon völlig unberührt. Natürlich können wir so etwas über seine Identität lernen, die immer dieselbe bleibt. Der Pfeil ist absolut klar definiert. Seine Gerichtetheit hat ihn schon in mancher Situation geholfen und entschuldigt. Er kann ja gar nicht anders. In seiner naiven Unbeholfenheit ist er verführerisch, obwohl er ja weiss, was er tut.

Der Pfeil ist davon völlig unberührt.

Das bringt uns dann auch dazu, wie der Pfeil seine Frau und seine Kinder traf. Es war an einem ganz normalen Samstagmorgen. Elisabeth war gerade dabei, den Kindern die Kleider anzuziehen und mit ihnen wandern zu gehen. Die Nacht davor hatte sie besonders schlecht geschlafen und schlimme Alpträume gehabt. Tom, der ältere der beiden Brüder hatte ins Bett gemacht, obwohl er schon zwölf Jahre alt war. Elisabeth hatte ein ungutes Gefühl. Eine gewisse Spannung lag in der Luft, als würde gleich etwas Grosses geschehen. Das Sonnenlicht an jenem Morgen war etwas ganz Besonderes, eine Verheissung. Als würde Gott ausatmen und seinen heiligen Hauch in Lisbeths Haus blasen. Die Wolken rauften sich zusammen und verdunkelten sich zu einem Wirbel. Aus dessen Mitte schoss der Pfeil hervor und landete direkt im Vorgarten von Elisabeth. Sie hatte sich grosse Sorgen um seinen Verbleib gemacht, da er vor mehr als einer Woche spurlos verschwunden war. Das letzte Mal hatte sie ihn gesehen, als er zur Arbeit fuhr und sie den Kindern Frühstück vor der Schule machte. Jetzt lag er in einem Krater im Vorgarten. Was tun mit so einem Mann. Lisbeth war gar nicht zufrieden. Der Pfeil war seit seinem Verschwinden komplett unerreichbar gewesen und jetzt zerwühlte er ihren Garten. Die Kinder schauten vom Fenster aus zu. Was für eine erbärmliche Figur der Pfeil abgab. Lisbeth schämte sich für den Vater ihrer Kinder, aber sie nahm sich zusammen und brachte ihn ins Haus. Sie putze ihn an jeder Ecke und Kante. Spülte ihm die Erde und den Dreck aus den kleinen Rissen seiner ansonsten glatten, roten Oberfläche. Sie seifte ihn ein, wusch ihn von der Spitze bis zum Schaft. Er wirkte verändert. Lisbeth stellte fest, dass sein Körper strammer geworden war. Was immer der Pfeil auch getrieben hatte, es hatte ihm offensichtlich gut getan. Lisbeth inspizierte seinen Körper jetzt genauer, zuerst unauffällig und bloss aus den Augenwinkel. Sie fand immer mehr Gefallen an ihm. Ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr gehabt hatte. Er kam ihr gereift und männlicher vor. In dieser Nacht schliefen sie das erste Mal miteinander.

Jetzt lag er in einem Krater im Vorgarten. Was tun mit so einem Mann.

Das mit den Morden hat vor etwa einem Jahr begonnen. Die erste lag unten beim Krater. Das linke Bein lag einige Meter entfernt vom Rest der Leiche, die ebenfalls schrecklich zugerichtet war. Kratzspuren waren über den ganzen Körper verteilt und im Gegensatz dazu war der Kopf säuberlich abgetrennt. Dessen Gesichtsmerkmale waren allerdings nicht mehr zu erkennen. Es war ein merkwürdiger Anblick. Als wäre jemand mit dem Bulldozer drüber gefahren und hätte sämtliche Erhebungen geglättet. Polizeichef Morino war als erster zur Stelle und dachte zunächst, es handle sich um den Kopf einer Schaufensterpuppe.

«Wer hat die denn gefunden?», fragte er in die Runde, die sich nach und nach vervollständigte.

«Einer der Dorfbewohner hat uns angerufen.»

«Wann war das?»

«Etwa vor einer Stunde.»

«Warum erfahre ich dann erst jetzt davon?»

«Es war so viel los, Sir. Wir mussten auch noch der anderen Sache nachgehen. Sie wissen schon, die Katze von der Frau im zweiten Stock ist verschwunden.»

«Wer hat einen solchen Hass in sich?», fragte sich Polizeichef Morino fortwährend. Mit jeder weiteren Leiche, die gefunden wurde, stumpfte er ab. Es ging ihm nahe, aber der Schock legte sich. Er hörte sich um. Niemand wusste etwas.

Unterdessen finden wir andere eigentümliche Dinge über den Pfeil heraus. Was hier im Folgenden berichtet wird, ist nicht mehr als eine Glosse, die zugegebenermassen sehr schwer zu entziffern war. Es können darum durchaus Fehler unterlaufen sein, die dann zu Inkohärenzen führen, wofür ich mich bereits im Voraus entschuldige. So wie ich das verstanden habe, splitterte sich während dem ersten Arbeitstag auf der neuen Stelle eine Ecke ab. Aus welchem Grund sie dies tat, bleibt tatsächlich nicht erfahrbar. Sie könnte es aus Protest dem neuen Arbeitsumfeld gegenüber oder einfach aus Langeweile getan haben. Fakt ist jedoch, dass die lose Ecke eine Menge erlebte. Kurz nach ihrer Abspaltung besuchte sie ein Puff. Dort erfreute sie sich an dem jungen Fleisch, das sich an der Stange räkelte und spendierte einen Champagner nach dem anderen. Glücklicherweise hatte sie immer noch Zugriff auf das Kreditkartenkonto des Pfeils, welcher ihr Verschwinden noch nicht bemerkt hatte. Die Ecke strapazierte die Limite. Des Geschmacks. Des Tragbaren. Des Erfahrbaren. Des Bargelds.

Unterdessen finden wir andere eigentümliche Dinge über den Pfeil heraus.

Nach diesem kleinen Abenteuer dachte die Ecke daran, zu einer interstellaren Reise aufzubrechen. Dazu mussten einige Vorkehrungen getroffen werden, die hier geschildert werden. Schliesslich wollte die Ecke nicht nur bis zum Mond, sondern weit darüber hinaus in die Tiefen des Alls vorstossen. Das eigene Sonnensystem hinter sich lassen und bisher nicht kartografierte Galaxien entdecken. Die Ecke interessierte sich insbesondere für die geometrischen Formen von verschiedenen Orbits und deren Bahnelementen. Sie hatte sich schon früh dem Studium dieser universalen Zeichnungen verschrieben. Sie sah darin eine göttliche Schönheit und glaubte, so mehr über die eigene Herkunft zu erfahren. Sie besuchte aus genau diesem Grund zuerst den Heimatplaneten des Protagonisten. Hier sehen wir ihn als einfachen Büroangestellten, der seine runde, goldgefasste Brille zurechtrückt. Seine Grossmutter hatte ihm den Rahmen vererbt. Sonst war an ihm wenig auffällig, was mir die Sache einfach macht. Er hatte ein gepflegtes Äusseres, aber seine Mitarbeiter hielten ihn für einen Sonderling. Sie respektierten seine schnelle und präzise Arbeit. Am Abend trank er jeweils ein einzelnes Glas Wein und schaute von seinem Balkon aus den Hügel hinab. Kurz gesagt, er lebte einsam. Tag für Tag spazierte er zu seiner Arbeit, aber die Wahrheit ist, dass ihm auf dieser Welt nicht zu helfen war. Es überraschte ihn daher kaum, als sein Vorgesetzten ihn in dessen Büro bat, welches vom Grossraumbüro und der ständigen Geschäftigkeit abgeschirmt war. Die Macht fühlte sich wohl im modernen abstrakten Gemälde an der Wand.

Er hatte ein gepflegtes Äusseres, aber seine Mitarbeiter hielten ihn für einen Sonderling.

«Nun, es wird ihnen nicht entgangen sein, dass ich Sie besonders mag. Sie sind ein fleissiger, aber zurückhaltender Angestellter. Das ist mit Abstand die beste Art von Angestellten. Hören Sie, ich möchte Ihnen mehr Verantwortung geben. Nehmen Sie dieses Dossier, lesen Sie es in Ruhe durch. Ich erwarte Ihre Antwort bis Montag.»

Der Protagonist nahm die Papiere wortlos entgegen und verabschiedete sich. Als er die Türe hinter sich geschlossen hatte, bemerkte er eine merkwürdige Melodie. Das war nicht ungewöhnlich, üblicherweise komponierte er ganze Opern im Schlaf. Diese hier war allerdings anders, frech, keck, temporeich. Der Rest der Szene dürfte hinreichend bekannt sein.

Als er die Türe hinter sich geschlossen hatte, bemerkte er eine merkwürdige Melodie.

Dieser kleine Ausflug war also doch sehr lohnenswert gewesen, dachte sich die Ecke und bog jetzt ab. Sie musste sich beim Waffenhändler noch ausrüsten. Niemand konnte wissen, welche Gefahren in unbekannten und bisher unerforschten Gebieten lauerten. Sie kaufte sich ein Langschwert wie auch eine Laserpistole. Das Schwert trug sie auf dem Rücken, die Pistole locker an der Hüfte.

Die zweite lag nicht weit vom Fundort der ersten Leiche entfernt. Auch hier ist mit einer ungeheuren Brutalität vorgegangen worden. Der Knochen des Oberschenkels ragte durch das Fleisch. Die Kanten waren glatt, als wäre er durchgesägt worden. Aber wie konnte das sein, wenn der Rest des Beines unversehrt war. Polizeichef Morino zerbrach sich den Kopf. Der Kopf der Leiche war im Gegensatz zur ersten völlig intakt und noch am Leib. Das Gesicht war gut zu erkennen. Es war das Gesicht eines jungen Mädchens, der Körper der dranhing hingegen der eines ausgewachsenen, kräftigen Mannes mit starker Brustbehaarung. Die Arme waren zur Seite ausgestreckt. Eisennägel waren in die Handflächen geschlagen und hielten sie im staubigen Boden fest. Polizeichef Morino bekreuzigte sich und verlangte nach Kaffee, bevor er den Rapport anlegte.

Die Konturen verschwimmen, sie steht im Zentrum und bannt die Blicke. Der Rest rückt in den Hintergrund und verschwindet.

Das Licht ist schummrig. Sie geht zur Jukebox. Sie streicht mit der Hand der leuchtenden Neonröhre am Rahmen entlang bis zum Schlitz für die Münzen. Erst jetzt dreht sie sich wieder zu ihm um und schaut ihn an. Dann beugt sie sich nach vorne und wählt den Song. Ihr Gesicht scheint blass, erhellt durch die Anzeigetafel der Jukebox. Das Lied beginnt. Sie tanzt, selbstvergessen, für sich, die Arme in die Luft gestreckt. Der Takt ist langsam und sie kommt in ihrem Körper wieder an. Der Körper, der sie ihm heute den ganzen Abend zur Schau gestellt hatte. Das hier ist ihr Moment, er gehört ihr ganz alleine. Sie weiss, dass er sie beobachtet, aber es ist ihr egal. Sie liebt dieses Lied. Es würde sie nicht kümmern, wenn er jetzt gehen würde. Sie dreht sich einmal um die Achse. Der ganze Raum weiss, dass er ihr gehört und respektiert ihre überlegene Herrschaft. Niemand denkt daran, sich dagegen aufzubegehren, niemand würde es wollen. Auch ich wage keinen Mucks von mir zu geben, obwohl ich ja sonst nicht bei den Schweigsamen zu finden bin. Sie geniessen ihre Knechtschaft, verstreut in der Bar, im Dunklen versteckt, die Hand am Getränk, an dem sie sich festhalten, während sich alles um sie dreht. Die Konturen verschwimmen, sie steht im Zentrum und bannt die Blicke. Der Rest rückt in den Hintergrund und verschwindet. Sie schlägt die Augen auf. Sie hat den Höhepunkt erreicht. Das Lied endet. Ihre Hand gleitet zwischen ihren Brüsten herab und geht über in eine tiefe Verbeugung. Niemand klatscht. Mit einem verschmitzten Lächeln richtet sie sich auf und geht zurück zu ihm an die Bar. Sie schaut ihn gelangweilt an. Sie schätzen sich ab. Sie ist ihm um Längen voraus, er kommt nicht an sie heran, das wissen sie beide ganz genau. Trotzdem hat sie eine Zuneigung zu ihm gefasst. Sie neigt ihren Kopf leicht nach unten zur Seite und gibt ihren Hals frei. Er muss sofort handeln und legt die Scheine auf den Tresen. Sie gehen.